Grau soweit das Auge reicht und dazwischen eine kleine grüne Zikade im passenden grauen Anzug. Fleißig, ordentlich, Tack Tack Tack! Aber auch einsam, arm und misshandelt von den menschlichen Kollegen. Wer nicht glauben kann, dass so viel Wahrheit, Traurigkeit und auch Schönheit auf nur 32 Seiten passen, sollte unbedingt einen Blick in Shaun Tans Zikade werfen.
Grau. Viel Grau. Und zwischen diesem Grau eine kleine Zikade. Diese ist zwar eigentlich grün, doch ihr Körper steckt natürlich in einem grauen Anzug. „Zikade arbeitet in Hochhaus. Dateneingabe. Siebzehn Jahre. Kein Tag krank. Kein Fehler. Tack Tack Tack!“ Trotzdem bekommt Zikade kein Geld. Sie wird nicht befördert. Muss sie einmal auf die Toilette muss sie raus aus dem Büro, denn die Bürotoilette darf sie nicht benützen. Ganze 12 Stockwerke muss sie hinunter um sich zu erleichtern und das braucht Zeit. Diese Zeit wir ihr anschließend vom nicht gezahlten Lohn abgezogen. Freunde hat sie keine. Ihre Kollegen sind alle Menschen und die „sagen Sachen. Machen Sachen.“ Und trotzdem macht Zikade deren Arbeit fertig „Tack Tack Tack!“ Siebzehn Jahre muss Zikade dieses Leben führen und dann geht sie in Rente. „Keine Rede. Keine Feier. Chef sagt: Sachen packen. Tack Tack Tack!“ Zikade klettert die grauen Treppen des Hochhauses hinauf. Sie blickt in den Abgrund und auf einmal bricht aus dem graugrünen Kerlchen ein rotgeflügeltes Wesen das sich in die Lüfte schwingt. Das Grau des Himmels ist gesprenkelt mit Rot. „Alle Zikaden fliegen zurück in Wald. Denken manchmal an die Menschen. Müssen dann lachen.“
Alle Zikaden fliegen zurück in Wald.
Denken manchmal an die Menschen.
Müssen dann lachen.
Obwohl die Handlung von Zikade zunächst überschaubar erscheint, steckt in diesen 32 Seiten mehr Wahrheit, Traurigkeit und auch Schönheit als in manch dickem Wälzer. Für Literaturwissenschaftler ist dies natürlich ein Fest, kann man den teils kryptischen Text ohne Probleme zu Tode interpretieren. Doch auch die an Gemälde erinnernden Bilder haben eine hypnothische Wirkung auf jeden Betrachter. Autor und Illustrator Shaun Tan geht sogar soweit die Vorsatzpapiere in die Handlung miteinzubeziehen, was selbst bei Bilderbücher nicht die Regel ist. Welche Wohltat einmal nicht über die Gestaltung eines Buches schimpfen zu müssen. Wenn Schriftart und Bilder zusammenpassen. Wenn einfach alles an einem Buch passt. Sogar die Überschrift der Titelei verweist beispielsweise ganz dezent auf das glückliche Ende der Zikade bevor die eigentliche Geschichte beginnt. Und wer rechnet schon mit einem glücklichen Ende bei all diesen Gemeinheiten und all diesem Grau. Vermutlich liegt die Stärke von Shaun Tans Zikade genau in dieser Subtilität. Wenige abgehackte Sätze und ganzseitige Bilder, die trotzdem die großen Themen der Zeit wie Fremdenfeindlichkeit, Mobbing oder Überarbeitung aufgreifen. Definitiv ein schlaues, ein aktuelles und trotz des vielen Graus auch ein wunderschönes Buch.
Tack Tack Tack!
Shaun Tan: Zikade
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
Einband- und Innentypografie: Doris Grüninger, Buch und Grafik, Zürich
Reproduktion: HKS-artmedia, Ostfildern-Kemnat
Druck und Bindung: Livonia, Riga
Aladin Verlag, Stuttgart 2019, 32 Seiten, 17,00 €
ISBN 978-3-8489-0163-0