1973 erhielt Christine Nöstlinger für Wir pfeifen auf den Gurkenkönig den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Kinderbuch. Darin bietet ein spaßbefreiter Versicherungsmensch samt Familie dem weinerlichen, klauenden und hinterlistigen Gurkenkönig politisches Asyl. Doch eigentlich geht es um so viel mehr!
Am 14. November wird in den USA der ‚National Pickle Day‘ gefeiert. Wer diesen Feiertag ins Leben gerufen hat und vor allem warum, ist wie bei so vielen kuriosen Feiertage nicht eindeutig zu klären und am Ende vermutlich auch ziemlich egal. Dennoch bietet dieser ‚Tag der Gewürzgurke‘ einen guten Anlass um sich mit einem Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur auseinanderzusetzen, dessen Hauptfigur sehr an eine Gurke erinnert. „Auf dem Küchentisch hat nämlich einer gesessen, der war ungefähr einen halben Meter groß. Wenn er nicht Augen und eine Nase und einen Mund und Arme und Beine gehabt hätte, hätte man ihn für eine große dicke Gurke oder einen mittleren, dünnen Kürbis halten können. Auf dem Kopf hat er eine Krone gehabt. Eine goldenen Krone mit roten Edelsteinen in den Kronenzacken. Seine Hände steckten in weißen Zwirnhandschuhen, und die Zehennägel hatte er rot lackiert.“
Wenn er nicht Augen und eine Nase und einen Mund und Arme und Beine gehabt hätte, hätte man ihn für eine große dicke Gurke oder einen mittleren, dünnen Kürbis halten können.
Dieses komische Gurkenwesen, titelgebende Figur in Christine Nöstlingers Wir pfeifen auf den Gurkenkönig, heißt eigentlich „Königs Kumi-Ori das Zweit, aus das Geschlecht der Treppeliden“ und ist von seiner unterhaltsamen Ausdrucksweise abgesehen, alles andere als unterhaltsam. Nachdem er von seinen Untertanen, den Kumi-Oris, aus dem unteren Keller vertrieben wurde, sucht er politisches Asyl bei Familie Hogelmann. Eine auf den ersten Blick normale Familie mit drei Kinder, einer Mama, einem Papa und einem Opa. Besonders Papa Hogelmann nimmt sich des weinerlichen, klauenden und hinterlistigen Gurkenkönigs an. Er schläft mit ihm in einem Bett, versorgt ihn mit keimenden Kartoffeln und scheint ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Selbst den traditionellen Osterausflug unternimmt er lieber mit dem Gurkinger. Normal ist eine solche Fürsorglichkeit für Herrn Hogelmann eigentlich nicht. Als spaßbefreiter Versicherungsmensch interessiert er sich nur bedingt für seine Familie, dennoch soll sie genau nach seinen Vorstellungen leben und handeln. „Fernsehen darf man nur, was der Papa will! Zu essen bekommt man nur, was der Papa will! Anziehn darf man nur, was der Papa will! Lachen darf man nur, wenn der Papa will!“ Besonders die beiden älteren Kinder Martina und Wolfgang leiden unter dem strengen Vater. Von fragwürdigen Ausgehverboten bis hin zu physischen Bestrafungen bei schlechten Noten, Martina und Wolfgang können es ihrem Papa nicht recht machen. Doch auch die drei Erwachsenen untereinander verstehen sich nur bedingt. Wenn in solch schwierige familiäre Verhältnisse noch ein unsympathisches Gurkenkürbiswesen hineinplatzt, verwundern die anschließenden Zustände nur wenig. Niemand redet mehr mit Papa, Wolfgang wird in Mathe immer schlechter, Martina trennt sich von ihrer ersten großen Liebe und der kleine Niki ist von der ganzen Situation überfordert, schließlich mag er seinen Papa und den Gurkenkönig eigentlich auch. Ob dieses Gurken-Hogelmann-Chaos ein gutes Ende findet? Vielleicht! Denn vielleicht haben Gurkenkönige manchmal doch ihr Gutes (auch wenn sie sich anfühlen wie ein Hefeteig im Plastiksack).
1973 erhielt Christine Nöstlinger für Wir pfeifen auf den Gurkenkönig den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Kinderbuch. Über 40 Jahre später ist diese Entscheidung immer noch mehr als gerechtfertigt. Verpackt in einer zunächst fantastisch anmutenden Handlung ist zum einen das realistische Abbild einer zerstrittenen Familie, zum anderen die Abhandlung gesellschaftlicher Umbrüche der Geschichte. Außerdem überzeugt der Ich-Erzähler Wolfgang mit einem authentischen Tonfall der unterhaltsame stilistische Spielereien bereithält. Natürlich gibt es auch in Wir pfeifen auf den Gurkenkönig einige für die heutige Zeit unpassende bzw. überholte Passagen. Dennoch bleibt Nöstlingers Kinderbuch eine spannende und intelligente Geschichte die immer wieder begeistert.
Christine Nöstlinger: Wir pfeifen auf den Gurkenkönig
Illustrationen von Werner Maurer
Graphische Gestaltung: Günther Stiller, Taunusstein
Gesamtherstellung: Beltz Offsetdruck, Hemsbach über Weinheim
Beltz & Gelberg, Weinheim und Basel 1972, 144 Seiten
ISBN 3-407-80214-5