Am 22. Dezember ist Wintersonnenwende und damit die längste Nacht des Jahres. Das Gemüt wird in dieser dunklen Jahreszeit besonders herausgefordert. Abhilfe verschafft das vielschichtige Bilderbuch Das Dunkle und das Helle von Kerstin Hau und Julie Völk, denn mit geflecktem Pelz lässt sich das Helle im Dunkeln viel besser erkennen.
Die kalte Jahreszeit stellt besonders für das Gemüt eine Herausforderung dar. Mit der Wintersonnenwende am 22. Dezember beginnen zwar die Nächte kürzer und die Tage länger zu werden, dennoch nimmt die Dunkelheit in den darauffolgenden Wochen und Monaten einen großen Teil des Tages ein. Doch warum stört uns das eigentlich? Warum fühlen wir uns in der Dunkelheit tendenziell eher unwohl?
Das Struppige wohnt in der Dunkelheit. Richtig schlimm findet es seine finstere Umgebung nicht, möchte aber dennoch gerne „dorthin wo die Farben leuchten.“ Nur wie soll es da hinkommen?! Noch am selben Tag kratzt das Struppige so viel Mut zusammen wie es nur zusammenkratzen kann, zieht seine Gummistiefel an und geht zum Rand der Finsternis.
Auf der anderen Seite badet das Zarte im Sonnenschein und entscheidet sich mit einer Taschenlampe bewaffnet die Dunkelheit zu erkunden: „Ich gehe nur bis zum Rand des Lichts, schaue hinüber und dann kehre ich schnell um.“ Nachdem die anfängliche Angst vor dem Unbekannten überwunden ist und einige „Hallo, du da“ ausgetauscht wurden, entwickelt sich zwischen dem Struppigen und dem Zarten eine herzliche Freundschaft. Das Struppige besucht das Zarte jeden Tag im „Farbleuchten“ und sein „schwarzes Fell bekommt von nun an helle Flecken.“ Eigentlich könnte es so einfach weiter gehen, jedoch verschwindet das Zarte samt Haus in einem großen tiefen Loch in der Finsternis…
Nein, die Finsternis kriegt man nie ganz aus dem Pelz. Aber gefleckt ist auch sehr schön.
Julie Völk gelingt mit einer der ältesten Fototechniken die ungewöhnliche Bebilderung der ebenso ungewöhnlichen Geschichte von Kerstin Hau. Hier ist der Titel somit nicht einfach nur ein leeres Versprechen, denn mit dem fotografischen Edeldruckverfahren der Cyantopyie lassen sich Schatten werfende Gegenstände in leuchtendem Weiß erzeugen die sich von den typischen Blautönen dieses auch als Eisenblaudruck bekannten Verfahrens abheben. Zusätzlich zeichnet Völk filigrane Illustrationen in die konträren Welten aus Hell und Dunkel. Besonders die innerhalb der strahlende Helligkeit platzierten Zeichnungen erstrahlen dabei in leuchtenden Farben. Doch nicht nur technisch überzeugt Das Dunkle und das Helle, auch die Handlung begeistert mit ihren liebenswerten Charakteren und der phantasievollen Umsetzung komplexer Themen wie Heimat, Freundschaft und Trauer. Definitiv ein vielschichtiges, emotionales und wunderschönes Bilderbuch für jeden der mit der facettenreichen Finsternis in Berührung gekommen ist. Denn „die Finsternis kriegt man nie ganz aus dem Pelz. Aber gefleckt ist auch sehr schön.“
Kerstin Hau: Das Dunkle und das Helle
Illustrationen von Julie Völk
Covergestaltung und Layout: Fabienne Heeb
Druck und Bindung: Livonia Print, Riga
NordSüd Verlag, Zürich 2019, 40 Seiten, 15,00 €
ISBN 978-3-314-10460-2