Hunger und Armut trotz Erwerbstätigkeit sind in reichen Industrienationen wie den USA weit verbreitet. Katherine Applegate thematisiert in ihrem Roman Crenshaw – Einmal schwarzer Kater diese gesellschaftlichen Missstände aus der Sicht eines kleinen Jungen. Nur was hat ein surfender schwarzweißer Riesenkater mit einer Vorliebe für lila Geleebohnen damit zu tun?
„Offenbar weiß niemand genau, warum Katzen schnurren.“ Warum heute der Internationale Tag der Katze ist, weiß passend hierzu auch niemand. Ein willkürlich gewähltes Datum, Initiator unbekannt. Jackson, die Hauptfigur in Katherine Applegates Roman Crenshaw – Einmal schwarzer Kater, würde hierauf entgegnen: „Es ist erstaunlich, was Erwachsene alles nicht wissen.“ Gut, in diesem Fall wissen vermutlich auch Kinder nicht wieso es den Weltkatzentag am 8. August gibt, aber hey, wer findet Katzen und Feiertage nicht gut?!
Natürlich ist der Internationale Katzentag kein verfassungsmäßig garantierter gesetzlicher Feiertag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Doch dies spielt hier genauso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass die Anzahl der Feiertage in den USA weitaus geringer ausfällt als in Deutschland. Grund zu seelischen Erhebungen hat Jackson sowieso nur selten, obwohl er sich als Faktenfan sicher für die Unterschiede der Feiertage in unterschiedlichen Ländern interessieren würde. Er mag verlässliche Sachen. „Fakten wie: Zwei plus zwei ist vier. Fakten wie: Rosenkohl schmeckt wie dreckige Turnsocken.“ Er hat nicht viel Phantasie und möchte von seinen all zu albernen Eltern ernst genommen werden. Er will die Wahrheit erfahren über ihre aktuelle Lebenssituation.
Die Vorzeichen sind schon seit einiger Zeit eindeutig. Viel zu oft sind Jackson und seine kleine Schwester Robin hungrig. Nahezu alle Besitztümer der Familie sollen bei einem Nachbarschaftsflohmarkt verkauft werden um die fehlende Miete aufzutreiben. „Es ergab keinen Sinn. Mom hatte drei Teilzeitjobs. Dad hatte zwei Teilzeitjobs. Das hätte eigentlich zwei ganze Vollzeitjobs ergeben müssen, aber so war es irgendwie nicht.“ Wie der ehemalige Präsident George W. Bush vor einigen Jahren zu einer alleinerziehenden Mutter sagte: „You work three jobs? Uniquely American, isn‘t it? I mean, that is fantastic that you‘re doing that.“
Wirklich einzigartig amerikanisch! Schon einmal musste die Familie den ‚American Way of Life‘ im Minivan leben. Jacksons Vater erkrankte an multipler Sklerose, beide Eltern verloren ihre Arbeit. 14 Woche verbrachte die vierköpfige Familie mitsamt Hund im Auto. Drei Jahre später war es nun scheinbar wieder soweit. Doch diesmal war Jackson älter. Diesmal war er fast schon in der 5. Klasse. Eigentlich war er schon so gut wie erwachsen und für eine imaginären Freund war er noch nie der Typ gewesen, auch zu den Minivan-Zeiten nicht. Nur warum sah er ihn dann auf einmal wieder? Warum surfte dieser unfassbar riesige schwarzweiße Kater mit einer Schwäche für lila Geleebohnen, Baseballmützen der San Francisco Giants und T-Shirts auf denen Sprüche stehen wie „Kater regieren, Hunde parieren“ direkt vor seiner Nase? Wieso nahm er ausgedehnte Schaumbäder in seiner Wanne? Wieso konnte sein Hund Aretha den auf zwei Beinen durch die Gegend marschierenden Kater namens Crenshaw ebenfalls sehen?
Ich drückte die Augen zu und zählte bis zehn. Ganz langsam. Zehn Sekunden schienen mir genau die richtige Länge, um mich vom Wahnsinnigwerden zu retten.
Für einen kleinen zukünftigen Wissenschaftler ist ein solch unerklärlicher Besuch kaum auszuhalten. Anders als Elwood P. Dowd der seinen zwei Meter großen Hasenfreund in ‚Mein Freund Harvey‘ niemals in Frage stellt, gelingt dies Jackson nur schwerlich. Natürlich muss sich Elwood P. Dowd im Gegensatz zu Jackson nicht mit Armut und Hunger herumschlagen, dennoch benötigt auch er einen Freund der ihn in schweren Zeiten stützt und genau deshalb hat Katherine Applegate ihrem Roman ein Zitat aus eben diesem wundervollen Theaterstück von Mary Chase vorangestellt.
Trotz der Schwere des Themas und vieler bedrückender Situationen bleibt Crenshaw – Einmal schwarzer Kater ein hoffnungsvolles Buch. Nicht nur der große Kater hilft Jackson nach anfänglichen Schwierigkeiten über den täglichen Kummer hinweg, auch seine beste Freundin Marisol ist eine Stütze. Trotz ihrer ebenfalls ausgeprägten Begeisterung für die Wissenschaft und Fakten erkennt sie Crenshaws Wert. „Wir wissen nicht alles. Ich weiß nicht, warum meine Brüder ständig das Alphabet rülpsen müssen. Ich weiß nicht, warum ich gerne Sachen baue. Ich weiß nicht, warum es keine regenbogenfarbenen M&M´s gibt. Warum musst du immer alles verstehen, Jackson? Ich bin froh, dass ich nicht alles weiß. Das macht vieles interessanter.“
Interessant wäre es auch gewesen mehr über Marisol zu erfahren. Ein Mädchen dass immer nach Holz riecht, Dinge baut und gerne in Pyjamas in die Schule geht. Leider kommt sie zwischen Jacksons Familie und Crenshaw ein wenig zu kurz. Die Figur des Vaters hingegen ist ein typisches Klischee. Viel zu häufig musste man bereits Vaterfiguren ertragen die sich in ihrem Stolz nicht helfen lassen wollen. Weitere Wermutstropfen sind kleinere Übersetzungsfehler bzw. -unstimmigkeiten (die Ratten des Lehrers Mr. Vandermeer heißen Harry und Hermione, müssten aber im Sinne der deutschen ‚Harry Potter‘-Übersetzung Harry und Hermine heißen, außerdem kann man den Namen des amerikanische Nationalgerichts ‚Macaroni and cheese‘ durchaus voraussetzen ohne auf Nudeln mit Käse auszuweichen) sowie der deutsche Titel, der einen bescheuerten und dazu noch falschen Untertitel angehängt bekommt. Schließlich ist Crenshaw schwarzweiß und nicht nur schwarz wie das Cover vermuten lässt. Abgesehen von diesen kleineren Kritikpunkten ist Katherine Applegate ein Buch aktueller (amerikanischer) Lebensumstände gelungen mit einer kleinen Prise schnurrender Magie. Vielleicht auch schnurrendem Wahnsinn, aber wen interessiert dies am Ende schon: „Ich drückte die Augen zu und zählte bis zehn. Ganz langsam. Zehn Sekunden schienen mir genau die richtige Länge, um mich vom Wahnsinnigwerden zu retten.“
Katherine Applegate: Crenshaw – Einmal schwarzer Kater
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
Umschlagillustration: Erwin Madrid
Umschlaggestaltung: Norbert Blommel, MT Vreden
(nach einer Idee von Rich Deas und Liz Dresner)
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
FISCHER Sauerländer, Frankfurt am Main 2016, 224 Seiten, 11,99 €
ISBN: 978-3-7373-5427-1